„Unsere Stadt glänzte immer durch Musik" – so schrieb der Eisenacher Arzt und Historiograph Christian Franz Paullini im Jahr 1698 mit Blick auf die reiche Musiktradition seiner Stadt. Im Jahr 1662 zur Residenzstadt erhoben, führte der Kunsteifer ihrer Herzöge schon im Jahr 1672 zur Gründung einer Hofkapelle und zog damit bedeutende Musiker und Komponisten an: Neben den Mitgliedern der Bachfamilie, wie Johann Christoph und Johann Bernhard Bach, wirkten ab den 1670-er Jahren so klangvolle Namen wie Johann Pachelbel, Daniel Eberlin, Pantaleon Hebestreit und Georg Philipp Telemann in der Stadt und gaben der musikalischen Entwicklung entscheidende Impulse. Besonders der seit 1698 regierende Herzog Johann Wilhelm förderte die kulturelle Blüte seines Hofs. In der von ihm ab dem Jahr 1700 erbauten Sommerresidenz Schloss Wilhelmsthal wurde eigens ein Pavillon als Tanz- und Konzertsaal errichtet, welcher schon damals wegen seiner ausgezeichneten Akustik gerühmt wurde. Hier gelangten zahlreiche Werke Telemanns und Johann Bernhard Bachs durch die Eisenacher Hofkapelle zur Uraufführung. Die idyllische Atmosphäre dieses Orts – auch später immer wieder Anziehungspunkt für Regenten, Musiker und Künstler – beschreibt Telemann in seiner Geburtstagsserenade für die Herzogin im Jahr 1725: „Du angenehmes Wilhelmsthal, Ich will ergetzen aller Herzen, Die jetzt voll Freude lachen, scherzen In deinem schönerbauten Saal.“
Schloss Wilhelmsthal bei Eisenach
Johann Bernhard Bach (1676–1749)
Orchestersuite g-moll
“Ouverture / à / Violino Concertino / 2 Violini / Viola / e / Continuo / di / J: B: Bach”
Sätze: Ouverture, Air, Rondeaux, Loure, Fantasie, Passepied
Entstehungsort: Eisenach?
Entstehungsjahr: zwischen 1703 und 1730
Johann Bernhard Bach (1676–1749):
Ein Kosmopolit in treuen Diensten
Das kleine Städtchen Eisenach wurde im Jahr 1662 durch Erbteilungen der Ernestiner zur Residenzstadt erklärt, womit die Stadt für die Mitglieder der Musikerfamilie Bach als Wirkungsstätte interessant wurde. Musik spielte bei der höfischen Repräsentation schon seit jeher eine wichtige Rolle. Insbesondere der seit 1698 regierende Herzog Johann Wilhelm (1666–1729) - als junger Mann hatte er den Hof Ludwigs XIV. besucht - machte es sich zum Ziel, in seiner Residenzstadt einen prunkvollen Hofstaat nach französischem Vorbild zu erschaffen.
Schon seit 1665 wirkte hier Johann Christoph Bach (1642–1703) als Organist der Georgenkirche sowie Cembalist der herzoglichen Kapelle, und Johann Bernhard Bach folgte ihm im Jahr 1703 in beide Ämter nach. In Erfurt 1676 als Sohn des Ratsmusikers Johann Aegidius Bach geboren, hatte er nach früher musikalischer Ausbildung durch den Vater zunächst die Organistenstelle an der St. Katharinenkirche in Magdeburg inne, bevor er direkt von Johann Wilhelm nach Eisenach berufen wurde. Der kunstliebende Herzog förderte die Musik und holte 1708 auch den aufstrebenden Georg Philipp Telemann (1681–1767) nach Eisenach, um von ihm die Special Hoch-Fürstliche Cammer Music zu einem stattlichen Hoforchester ausbauen zu lassen. Seit 1707 wirkte hier zudem Pantaleon Hebenstreit (1668–1750) als Direktor der Hofmusik, welcher mit dem Stil der französischen Musik bestens vertraut war – mit seinem selbst entwickelten Instrument „Pantaleon“ war er schon vor Ludwig dem XIV. aufgetreten. Am Eisenacher Hof entstand nun eine höchst kreative Atmosphäre und Herzog Johann schuf mit der Sommerresidenz Schloss Wilhelmsthal als barockem Jagd- und Lustschloss noch den passenden Rahmen für musikalische Darbietungen. So verwundert es nicht, dass Johann Bernhard in diesem anregenden Klima eine Stellung fand, der er bis zum Ende seines Lebens am 11. Juni 1749 treu blieb. Die hohe Wertschätzung, die er für seine Arbeit bekommen haben muss, lässt sich unter anderem daran erkennen, dass mehrmalige Gehaltserhöhungen verzeichnet sind und ihm selbst nach der Auflösung des Eisenacher Hofs im Jahr 1741 gestattet wurde, weiterhin eine Pension zu beziehen.
Mit beiden seiner Kollegen pflegte Johann Bernhard einen sowohl freundschaftlichen als auch produktiven musikalischen Austausch: In gegenseitiger Inspiration entstanden - ganz nach dem frankophilen Gusto des Herzogs - Konzerte, Ouvertüren und Kantaten im französischen Stil; jedoch fand auch die spritzige Virtuosität der italienischen Musizierweise Eingang in die Kompositionen.
Von dieser schaffensreichen Zeit geben die vier Orchestersuiten ein besonderes Zeugnis, das heute umso beeindruckender ist, da neben einigen Orgelstücken nur diese Werke erhalten sind. Dies ist vor allem Johann Bernhard Bachs entferntem Vetter Johann Sebastian zu verdanken, der die ersten drei Suiten für Aufführungen seines Leipziger Collegium Musicum um das Jahr 1730 kopieren ließ.
Den Eindruck, den die Suiten erzielt haben mussten, beschreibt Carl Philipp Emanuel Bach im 1754 verfassten Nekrolog auf seinen Vater: „Johann Bernhard hat viel schöne, nach dem Telemannischen Geschmacke eingerichtete Ouverturen gesetzet.“ In der Tat stellen diese Werke einen geistreichen Komponisten auf der Höhe seiner Zeit vor, der es verstand, typische Elemente aus den damals angesagten Nationalstilen aufzunehmen, mit einem persönlichen Akzent zu versehen und damit für „seine“ Eisenacher Hofkapelle Stücke von höchstem künstlerischen Niveau zu schaffen.
Daniela Döhler-Schottstädt