Graf Anton Günther II. von Schwarzburg-Sondershausen zu Arnstadt war ein besonderer Vertreter seiner Fürstenfamilie. Der etwas umständliche bzw. lange Name rührt daher, dass das Land zwischen ihm und seinem Bruder aufgeteilt worden war und er so eine neue Nebenlinie in Arnstadt und mit eben diesem Zusatz gründete. Da seine Ehe kinderlos blieb, fiel das Land nach seinem Tod allerdings wieder an seinen Bruder zurück, wodurch dieser Zweig nur von kurzer Dauer blieb.
Vor allem war Graf Günther II. ein leidenschaftlicher Sammler von Kunstgegenständen und Antiquitäten. Doch seine Sammelleidenschaft bezog sich nicht nur auf Material: Er versammelte Zeit seines Lebens auch Mitglieder der Familie Bach um sich, die an seinem Hof und in der Stadt die musikalischen Dienste versahen. Als sein Stadt- und Hofmusiker Johann Christian Bach 1693 gestorben war, verlangte er wieder einen Bach, um weiterhin die Kunst der Musik auf hohem Niveau pflegen zu können. Für dieses Niveau waren in der immerhin 22-köpfigen Hofkapelle die etlichen Mitglieder der Familie Bach zuständig, unter anderem Heinrich Bach, dessen Bruder Christoph und die Zwillinge Johann Ambrosius sowie Johann Christoph Bach. Zwei Jahre nach dessen Tod berief der gleiche Fürst den erst siebzehnjährigen Johann Sebastian Bach in das Amt des Stadtorganisten, als vorletztes Mitglied der Bachfamilie in Arnstadt, wie sich herausstellen sollte. Über hundert Jahre waren die zahlreichen „Bäche“ tätig in unterschiedlichsten Ämtern in Arnstadt, als Türmer, Stadtpfeifer, Komponisten, Instrumentenbauer und Hofmusiker – somit kann sich Arnstadt zu Recht als „Bach-Stadt“ rühmen!
Als Hofkapellmeister dienten von 1611 bis 1646 der Gabrieli-Schüler Christoph Klemsee (auch Clemsee) und ab 1652 bis 1665 Schütz-Schüler Jonas de Fletin. Graf Anton Günter II. berief im Jahr 1683 Adam Drese, der auf Kosten seines Weimarer Herzogs eine musikalische Ausbildung in Warschau genossen hatte, dann in Weimar und Jena tätig war, bevor er weiter nach Arnstadt reiste. Hier verhalf er der Hofkapelle zur neuen Entwicklung: Um 1700 blühte die 3800 Einwohner zählende Residenzstadt Arnstadt geistig und kulturell auf. Der Trend, die führenden europäischen Höfe und deren Prunk des kulturellen Lebens nachzuahmen, brachte einen Boom für die Musik- und Theaterwelt. Zwar hat sich in dem beschaulichen Arnstadt bis heute kein eigener Klangkörper erhalten, jedoch zeugt von der reichen Geschichte noch das „Theater im Schlossgarten“, was durch unermüdliches Bemühen der Stadt und anderer Förderer regelmäßig Veranstaltungen und Gastspiele kultureller Art anbietet.
Neues Palais Arnstadt
Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Sinfonia aus Kantate BWV 150 „Nach dir, Herr, verlanget mich“
Nach dir, Herr verlanget mich à 8. 2 Violini / Fagotto / 4 Voci / Basso Continuo / di J.S. Bach / Sinfonia. adagio.
Entstehungsort: Arnstadt?
Entstehungsjahr: um 1706
Heinrich Bach (1615–1692)
Sonate in F-Dur
Sonata à 5 2 Violin, 2. Brazz. è Violon
Entstehungsort: vermutlich Arnstadt
Entstehungsjahr: unbekannt
Adam Drese (um 1620–1701)
Sonate à 6 in C-Dur
Sonata à 6. 2 Cornettini, 2 Cornetti è 2 Tromb: vel si piace 2 Poch, 2 Violin gedämpfet et 2 Viol di gamben
Entstehungsort: unbekannt
Entstehungsjahr: nach 1652
Johann Sebastian Bach (1685–1750):
Ein Hitzkopf oder Perfektionist?
Als Johann Sebastian Bach am 14. August 1703 in Arnstadt zum Organisten berufen wurde, war es wahrscheinlich nicht das erste Mal, dass er die wenige Wochen zuvor fertig gestellte Orgel der Bonifatiuskirche spielte. Die Umstände, dass man ihn mutmaßlich schon in Arnstadt hatte spielen hören und er eben jenen Familiennamen trug, der schon vor seiner Geburt eine große musikalische Vergangenheit hatte, brachte auch den in Arnstadt residierenden Grafen Anton Günther II. von Schwarzbach auf den Plan. Mit der Anstellung des 17-jährigen Organisten entwickelte sich nicht nur ein bedeutendes Kulturzentrum der Region. Der Graf selbst war Mäzen und Musikliebhaber.
Bachs Arbeitsaufwand in Arnstadt war zunächst überschaubar. Neben dem Orgelspiel zu den Gottesdiensten und dem Begleiten von Hymnen hatte er Zeit, sich dem Komponieren zu widmen.1 Tätigkeiten für den Hof sind nicht überliefert. In der Kirchgemeinde hatte er jedoch einen schweren Stand; so musste er sich beispielsweise Beschwerden über seine Orgelbegleitung anhören: In den Chorälen seien „viele wunderliche variationes gemachet, viele frembde Thone mit eingemischet“ worden.2 Darüber hinaus gestaltete sich die Beziehung zu seinen Studenten, die kaum jünger waren als er selbst, äußerst schwierig.
Mit dem Fagottisten J.H. Geyersbach ist beispielsweise ein Streit überliefert, bei dem Bach ein Schwert gezogen haben soll, nachdem Geyersbach auf die Beleidigung „Zippelfagottist“ mit einem Stockschlag reagiert hatte. Bevor der Streit eskalierte, ging ein weiterer Student dazwischen.3 An Aufführungen großbesetzter Kirchenmusik war unter diesen Voraussetzungen nicht zu denken, was auch dem Arnstädter Konsistorium missfiel: „Nechst deme sey gar befrembdlich, daß bißher gar nichts musiciret worden, deßen Ursach er geweßen, weiln mit den Schühlern er sich nicht comportiren wollen“.4
Zwei Jahre nach seiner Anstellung in Arnstadt entschied Bach, nach Lübeck zu reisen, „um den dasigen berühmten Organisten an der Marienkirche Diedrich Buxtehuden, zu behorchen“.5 Geprägt von diesen Eindrücken und wohl auch mit einigen Abschriften unter dem Arm, reiste Bach erst Monate später zurück – zu lange für das Konsistorium, welches ihm nur vier Wochen Urlaub gewährt hatte.
Sein musikalisches Œvre in Arnstadt beschränkt sich vor allem auf das Orgelwerk und wenige Kantaten. So stammt mutmaßlich auch die Kantate BWV 150, deren Sinfonia hier erklingt, aus dieser Schaffensperiode, obgleich Echtheit und Entstehungsort bis heute nicht zweifelsfrei geklärt sind.
Bachs Arnstädter Zeit gehört sicher nicht zu den glücklichsten seiner Karriere, gleichwohl aber zu einer prägenden Zeit für seine eigene Persönlichkeit, denn sein Streben nach Perfektion und Kreativität machten schnell klar, dass er zu höheren Aufgaben berufen war. Folgerichtig sind daher die weiteren Stationen seines Wirkens Mühlhausen (ab 1707), Weimar, Köthen und schließlich das Thomaskantorat in Leipzig.
Tillmann Steinhöfel